Wandel
Obwohl ich gerade vor Arbeit eingehe, habe ich mich soeben entschieden einen Blogpost zu schreiben. In den letzten Wochen, habe ich mich sehr vom Online Leben zurück gezogen. Ich vermisse manchmal die guten alten Zeiten als das Internet noch voll war von authentischen Blogs zum lesen oder aber auch die guten alten Youtubezeiten, als es noch waschechte Vlogger gab. Hochglanz Social Media und Hochglanz YouTube, wo sogar die eigenen Schwächen konstruiert zu Geld und Likes gemacht werden nerven mich in diesen Tagen sehr, so sehr, dass ich alle Social Media Apps auf meinem Handy gelöscht habe. Was soll ich noch da? Ich fühle mich wie ein Produkt und man wird die ganze Zeit nur mit Werbung und/oder Extremen beschallt. Mein Leben und ich passen nicht in diese Welt. Ich fühle mich dort unverstanden. Aber auf meinem Blog fühle ich mich wohl, weshalb ich immer anstrebe hier mehr zu schreiben über das was mich bewegt.
Meine Einstellung zu vielem hat sich in den letzten zwei Jahren komplett verändert. Zum einem durch den Jakobsweg, der mich aus einem Traum und einer gewissen Naivität in die Realität katapultiert hat (das hört sich jetzt schlimmer an, als es war, aber dazu später mehr) und dann noch der Tot von meinem geliebten Opa und allem, was sich dadurch in meinem Leben verändert hat.
Der Jakobsweg liegt mir immer noch in den Knochen. Ein Thema, was ich im Podcast (noch) nicht bearbeitet habe, ist die Tatsache, dass sich durch den Jakobsweg mein Glauben komplett verändert hat. Bevor ich auf den Jakobsweg gegangen bin, muss ich im Nachhinein zugeben, dass ich Gott immer als eine Art Wunschmaschine gesehen habe. Ich muss nur das richtige tun und richtig beten, dann wird Gott mit erfüllen, was ich mir wünsche. Gott war gut und Gott war strafend. Das liegt nicht nur an meiner katholischen Erziehung, dass ich so gedacht habe, sondern auch daran, dass ich glaub ich viel Glück in meinem Leben hatte. Bis auf den Bereich Partnerschaft ist bei mir immer vieles gut gelaufen. Im Bereich Partnerschaft da musste ich viel durch machen, da hatte ich sogar ein ziemlich traumatisches Ereignis. Das ist auch der Grund weshalb ich auf den Jakobsweg gegangen bin. Wenn ich ehrlich bin, habe ich da irgendwie auf ein Wunder gehofft, auf einen Knall und viele Schmetterlinge, Glückseligkeit. Dabei kam es alles anders. Es gab keinen Knall, keine Schmetterlinge und keine spirituelle Erfahrung. Ganz im Gegenteil, es gab viel Schmerz und einen Spiegel. Was ich in dem Spiegel auf dem Jakobsweg sehen musste, war nicht schön. Er zeigte mir meine Ängste, meinen Kontrollwahn und mein Gefühl von Einsamkeit auf. Ach und dann noch die Unfähigkeit die Dinge los zu lassen, an Dingen und Menschen zu kleben, wie ein Kaugummi.
Das Gefühl von Einsamkeit habe ich definitiv auf dem Jakobsweg gelassen. Mir ist die Tage aufgefallen, dass ich mich seitdem ich zu Hause bin, nicht mehr einsam gefühlt habe. Ich habe gelernt die Zeit mit mir alleine nicht nur zu erdulden, sondern zu geniessen.
Meinen Kontrollwahn habe ich auch auf dem Jakobsweg gelassen. Ich habe gelernt wie viel ich dadurch kaputt machen kann und dass ich zu einem Menschen werde in diesen Augenblicken, der ich nicht sein will und der nicht mit meinen Werten übereinstimmt, die mir wichtig sind: Freiheit!
Die Unfähigkeit los zu lassen habe ich mit nach Hause genommen und diese wurde mir ständig auf dem Silbertablett serviert. Und dann ist mein Opa gestorben. Mein erster großer Verlust im Leben. Meine anderen Großeltern sind schon gestorben, als ich noch ein Kind war und ich das Thema Tot noch gar nicht verarbeiten konnte. Bis zu meinem Opa war mein schlimmster Verlust der unseres Rauhaardackel Henk, der unsere Familie 17,5 Jahre begleitet hat. Den Tag und die ersten Wochen danach, habe ich auch in eine tiefe Grube meines Herzens vergraben, die ich nie wieder geöffnet habe.
Bei meinem Großvater konnte ich die Schmerzen nicht mehr vergraben. Mit 41 Jahre nun und einer gewissen Lebenserfahrung, wußte ich, dass ich da nun durch muss und das alles fühlen muss. Den Schmerz, die Trauer, den Verlust. Ich habe gesehen, wie alt er ist mit 94 Jahre und ich habe seine Schmerzen gesehen, jeden Tag und seine Versuche gewürdigt nicht nur am Leben teil zu nehmen und zu haben, sondern das auch noch mit guter Laune. Das hat viel mit mir gemacht die letzten Tage.
Mein Großvater war ein bescheidener und zufriedener Mensch, der wenig Wert auf materiellen Reichtum legte. Obwohl genug Geld da war, hat er trotzdem bis Mitte 80 gearbeitet, aus dem einfachen Grund: es hat ihm Spaß gemacht und es hat ihn fit gehalten. Er war bis zum Ende klar im Kopf, immer noch neugierig und interessiert an allem und er hat eine einzige Tablette genommen. Das sind Dinge, die ich heute beeindruckend finde.
Als ich vom Jakobsweg zurück kam, war ich vollkommen überfordert mit den materiellen Dingen in meinem Leben. So viel Mist hatte sich angehäuft, wofür ich viel Geld ausgeben hatte und was für mich keinen Wert mehr hatte. Diese kurze Freude an den meisten Dingen. Ich brauche das alles nicht. Und so stellte ich mir immer wieder die Frage, was ist mir was wert?
Klar möchte ich genug Geld haben, um alles bezahlen zu können, etwas sparen zu können und mir hin und wieder auch einen kleinen Luxus zu gönnen. Aber hauptsächlich mag ich einfach etwas Geld auf dem Sparbuch haben, um gut zu schlafen und mir keine Sorgen machen zu müssen. Ich brauche keine teuren Handtaschen und Kleidung, die ein Vermögen kostet nur weil ein Logo darauf abgebildet ist. Was ich mag sind qualitativ hochwertige Sachen, in denen ich mich wohl fühle, die mir bei meinen Wanderungen und Outdoor-Abenteuern eine Stütze sind. Ein kleines Haus, ein bißchen Garten zum Gemüse anbauen, mehr möchte ich nicht. Das was mir viel wichtiger ist, als Geld anzuhäufen und auszugeben, ist es Zeit zu haben. Zeit für meine Familie, Zeit für meine Freunde, Zeit, um die Dinge zu tun, die ich tun möchte. Das ist mir wichtig.
Das Leben geht zu schnell vorbei, um nur zu arbeiten, um Geld in die Wirtschaft zu bringen. Was ist das denn für ein Tausch? Für mich macht der keinen Sinn bzw. natürlich macht er Sinn, aber nicht im Übermaß, sondern nur für die Dinge, die ich wirklich brauche. Für das Klima ist das auch besser.
Und so sitze ich mittlerweile in meiner alten Heimat auf dem Land in meinem alten Kinderzimmer und schreibe diesen Blogpost. Meine Oma lebt auch momentan bei meinen Eltern und das Haus meiner Großeltern steht leer. Und so haben sich alle dazu entschlossen, dass ich das Haus meiner Großeltern in den nächsten 1-2 Jahren übernehmen werde. Meine Großeltern macht es glücklich zu wissen, dass ihre Enkeltochter darin leben wird und es nicht an irgendwelche Fremde verkauft wird, meine Eltern sind glücklich, dass ich in der Nähe wohnen werde und ich bin freue mich über das kleine Haus, was ich in ehren halten möchte, natürlich renovieren muss, aber wo ich auch viel von meinen Großeltern und ihrer Geschichte erhalten und integrieren möchte.
Und was noch dazu kommt: der Papagei von meinen Großeltern kann dann weiter im Haus wohnen. Er bleibt bei mir. Der Vogelmann hängt eh an mir wie an eine Klette. Aber ehrlicherweise hänge ich auch an ihm wie eine Klette. Er spricht und singt wie mein Opa. Der Vogel ist so intelligent und lustig, es ist kaum in Worte zu fassen, wie viel Freude er bringt.
Das ich das alles so genieße zu Hause, mit Hund und Vogel und das Land, hat aber auch irgendwie mit Corona zu tun. Bei mir hat es definitiv etwas verändert. Mir ist das zu Hause und meine Familie noch einmal wichtiger geworden, als sie eh schon waren. Es hat mich auch sensibler gemacht: die Welt fühlt sich etwas unsicher an. Corona, der Klimawandel. Alles wirkt so einen Ticken unsicherer, als noch vor wenigen Jahren und man möchte sich einmummeln in einer kleinen aber feinen Welt.
Außerdem liebe ich das Landleben wieder sehr, die Ruhe, die Menschen und ich gehe aus der Tür Wanderwege nur wenige Schritte entfernt und den Wald immer in ein paar Gehminuten zu erreichen. Jeden Tag gehe ich mindestens eine Stunde durch den Wald und meine Tage sind dadurch anders geworden, besser. Abend wenn ich mit dem Hund die letzte Runde gegen 20 Uhr drehe ist alles ruhig. Man trifft kaum einen Menschen, da alle zu Hause zur Ruhe kommen. In der Stadt war immer noch etwas los um die Uhrzeit. Manchmal bin ich noch um 23 Uhr zum Supermarkt gegangen. Seit ich wieder auf dem Land bin habe ich einen viel besseren Rhythmus. Um 22 Uhr gehe ich ins Bett und um 6 Uhr stehe ich auf, frühstücke und dann die erste große Runde durch den Wald.
Diese Woche habe ich es besonders genossen. Ich liebe den Wald im Herbst. Ich kann mich gar nicht satt sehen an den farbenprächtigen Bäumen. Der Herbst ist meine liebste Jahreszeit, die Farben, der Geruch, der morgen Nebel, Kürbissuppen, keine Jahreszeit bringt mir so viel Freude.
Ich glaube nicht dass ich ohne den Jakobsweg und Corona hier sitzen würde. Durch Corona haben meine Eltern und ich uns dazu entschlossen gemeinsam wieder einen Rauhaardackel zu holen. Wir lieben Rauhaardackel und Henk ist nun schon seit mehr als 10 Jahren nicht mehr bei uns. Von der Züchterin haben wir erfahren, dass sie noch einen letzten Wurf machen würde in dieser Linie, da sie nun auch zu alt dafür werden würde. Für uns war dann sofort klar: jetzt oder nie – ein/e Verwandte unseres geliebten Henk. Zu dem Zeitpunkt als wir zusagten wußten wir noch nicht, ob es eine Hündin oder ein Rüde sein würde. Meine Eltern hofften auf einen Rüden und ich auf eine Hündin. Auf jeden Fall hatten wir ausgemacht, dass ich nun öfter aufs Land kommen würde, um Ihnen zu helfen. Und plötzlich war ich ständig hier.
Ich habe es genossen viel Zeit mit meinen Großeltern zu verbringen und den kleinen Welpen aufwachsen zu sehen. Es ist übrigens eine Hündin geworden. Wir haben Sie Toni genannt. Auch für eine Hündin fanden wir den Namen süß. Es führt manchmal zur Annahme, dass sie ein Rüde ist, aber uns stört das nicht, wir finden den Namen toll. Und dann ist auch noch mein Opa gestorben und dadurch hat sich noch mal einiges verändert und es wurde immer klarer, dass ich nun hier bleiben würde. Meine Wohnung in Düsseldorf habe ich auch noch, aber ich denke, dass ich in den nächsten Monaten ganz hier her ziehen werde. Wir werden sehen wie es weiter geht. Auf jeden Fall wird es einen Wandel geben.